Sonntag, 30. Oktober 2005

Helena

Helena, der Wiesenkerbel und die Wölfe

Nein, ich spreche nicht von Helena, deretwegen Griechen ihr Leben vor Troja opferten. Obwohl die griechische Mythologie voll von skurrilen und absonderlichen Wesen ist, wäre Helena, die mit Paris nach Troja durchbrannte, nur schwer mit einem Büschel weißen Wiesenkerbel im Mund vorstellbar.

Nein, ich spreche auch nicht von Isegrim - canis lupus - einer Unterart der Caniden, der sich, glaubt man den Gebrüder Grimm, mit Rotkäppchen einen bösen Scherz erlaubt hatte.

Nein, ich spreche von meiner 8-jährigen Eselstute, der ich - ihrer Schönheit wegen - den Namen "Helena" gegeben hatte. Mit schwarzem Fell, 1,40 m Stockmaß, einem weißen Milchmaul und langen Augenwimpern ist sie eine stattliche und schöne Erscheinung.
Sie begleitete mich fünf Wochen, beladen mit schwerem Gepäck, auf meinem Weg durch den Schwarzwald.

Oder habe ich sie begleitet?

Jedenfalls haben wir auf unserer Wanderung nie ganz klären können, wer hier eigentlich wen führt.

Nur wenn Helena am Wegesrand eine Dolde Wiesenkerbel sichtete, war die Machtfrage geklärt. Ich habe irgendwann akzeptieren müssen, dass ich angesichts von Wiesenkerbel keine Chance hatte, Sieger zu werden. Lange hab ich gerätselt, warum diese weiße Ackerpflanze so eine Leckerei für Helena ist.

Ich fand die plausible Erklärung in einem botanischen Bestimmungsbuch: zerreibt man die Blätter, erinnert der Geruch an das Aroma von jungen Möhren. Und die Kräuterkunde erklärt uns, dass Wiesenkerbel das Unterscheidungsvermögen fördert, die Wahrheit erkennen lässt und Ordnung in die Gedanken bringt.

Jetzt weiß ich, warum Helena in unklaren Situationen wie angewurzelt stehen blieb, also störrisch war: sie dachte nach und bemühte sich um die Wahrheit!

Nachdem nun geklärt ist, um wen es in meiner Geschichte geht und auch erste Eigenarten meines Eseltiers erwähnt wurden, bleibt noch die Frage nach den Wölfen.
Dazu muss ich vorausschicken, dass ich, vor meiner glücklichen und streitvollen Beziehung zur schönen Helena, nie zuvor mit Eseln oder Pferden zu tun gehabt habe. Es mag sein, dass ich irgendwann einmal in einem Streichelzoo einem Esel mit der Hand über das Fell gefahren bin - mehr Erfahrung hatte ich jedoch nicht mit diesen langohrigen Equiden. Mit Pferden auch nicht.

Allen Menschen, denen ich vorher von meinem Plan erzählt hatte, mit einem Esel zu wandern, hielten meine Idee bestenfalls für abenteuerlich, wenn nicht absurd und sie malten mir aus, was alles passieren könnte auf so einer Wanderung.

Ich will aufrichtig sein: sie hatten recht. Aber dazu später. Die Rede sei vorher noch von den Zweifel-Wölfen.

Diese Wölfe suchten mich zu Beginn unseres Abenteuers jede Nachts so zwischen drei und vier heim.

Sie überfielen mich im Rudel, knurrten, drohten und fletschen ihre Zähne. Sie ließen mich schweißgebadet aufwachen, aber sie gaben dann immer noch keine Ruhe!

Ich kannte sie schon aus Berlin. Die Zweifel nahmen sich auch dort alles, was sie kriegen konnten.

Dort waren es die alltäglichen Probleme mit Geld, Arbeit und Gesundheit.

Und im Schwarzwald, selbst noch nach Tagen der Wanderung durch Wald, Wiesen und Weinberge, bellten sie mir Fragen entgegen wie diese:

Was ist, wenn das Tier krank wird oder gar verendet?
Was ist, wenn Du selbst krank wirst oder stirbst?
Oder ihr morgen kein Nachtquartier findet?
Oder ihr völlig durchregnet?
Oder das große Unwetter kommt?

Und dann stand der mächtige Leitwolf vor mir, bleckte die Lippen und fletschte die Zähne und knurrte:

Lass den Unsinn!
Brich ab!
Das macht keinen Sinn!
Halt inne und kehr um!
Hast Du das überhaupt nötig?
Mach doch Pauschalurlaub auf Mallorca!

Das nächtliche Wolfsheulen auf der Tour mit Helena dauerte wohl vierzehn Tage. Dann wurden die Wölfe ruhiger und irgendwann ließen sie sich gar nicht mehr blicken!

Doch als die Wölfe schwiegen, passierte das Unglück. Aber soweit bin ich noch nicht!

Wenn ich an unsere glücklichen Tage im Schwarzwald, auf der Tour von Pforzheim bis kurz vor Basel denke, dann sind es besonders zwei Dinge, die sich wie Bergkuppen aus dem Morgennebel der Erinnerung herausheben.

Die Beziehung zu meiner schönen Eselstute und die vielen Menschen, die wir unterwegs trafen.

Die Beziehung zu Helena

Setz ich mich auf meine BMW, dann dreh ich den Zündschlüssel, drücke den roten Startknopf, beweg den Gasgriff, zieh die Kupplung, leg den Gang ein und lass die Fahrt beginnen. Meine bullige, PS-starke Maschine folgt jedem meiner Befehle zuverlässig und präzise. Und in etwa kann ich mir ausrechnen, wann ich mein Ziel erreichen werde.
Diese lange Erfahrung von Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit prägt mein Leben und meine Art Reisen zu planen.

So nahm ich an, dass ein normaler Esel ungefähr 20 km am Tag laufen kann - ich, obwohl ungeübt, auch - und nach 30 Tagen sind wir ca. 600 km gelaufen.

Und dann lauf ich mit Helena zwei Stunden einen schönen, schattigen Waldweg mit Blick auf die Rheinebene, das Straßburger Münster, bis hin zu den mächtigen Vogesen.

Nichtsahnend kommen wir an eine kleine Holzbrücke, die über einen munter plätschernden Bach führt - und Helena sagt: "Nein, über diese Brücke geh ich nicht."

Da nützt weder ein sanft schmeichelndes, noch ein hart forderndes "Helena geh!" Auch kein Schreien.

Es hilft auch nicht, ihr die Gerte zu zeigen - vor der sie sonst hin und wieder Respekt hat.
Helena lässt sich weder auf eine Diskussion mit mir ein, noch durch Leckerlies - wie Apfel-, Zimt-, Ananas -, Waldfrüchte- oder Kräuterkekse -, bestechen.

Vor allem hilft kein Ziehen und Zerren. Eher reißt der Führstrick, als dass mein liebes Packtier sich bewegt. Helena ist in jedem Fall stärker als ich. Sie schaut mich mit großen Augen an und bewegt sich keinen Schritt vorwärts.

Die Brücke ist zu schmal oder der Bach plätschert zu laut. Jedenfalls passt eins von beidem - oder auch beides - nicht in Helenas, durch Wiesenkerbel geordnete Welt.
Wir müssen zurück! Der Tagesplan ist geplatzt. Wir schaffen in 30 Tagen nicht 600 km, sondern nur 580 km!

Neben einem geht eben ein langohriges Wesen mit eigenen Gefühlen, Verstand und Willen, mit eigenen Vorlieben und Abneigungen. Es dauert, bis man dies nicht nur begreift, sondern auch akzeptieren kann, ohne mit den Zähnen zu knirschen!

Helena entführte mich in eine Welt, in der ein "just in time"-Konzept oder ein ADAC-Tourenplaner ebenso unsinnig sind, wie es das Internet im Mittelalter gewesen wäre.
Schrittzähler und GPS können getrost zu Hause bleiben. Das einzige technische Hilfsmittel das noch seinen Sinn behält, ist der Kompass, damit man nicht die Richtung verliert.

Denkt man beim Weitergehen noch über Helenas Psyche nach, umgeht vorsichtig alle Wiesenkerbelverlockungen und Plätscherbäche, freut sich über das gleichmäßige Trappeln der Hufe, bleibt das Teufelstierle unverhofft wieder stehen - ohne dass vor uns eine Verlockung oder Bedrohung zu sehen wäre.

Man dreht sich um, redet begütigend auf sie ein, macht ihr klar, wohin wir heute noch wollen und dass die nächste Pause erst in einer halben Stunde geplant ist und bemerkt voll Sorge, dass sich Unmut in einem aufbaut - da geht der Blick zurück und man sieht in 10 m Entfernung meinen weißen, breitkrempigen Sonnenhut auf der Straße liegen, den ich morgens unter einen Gepäckgurt geklemmt hatte, weil es bewölkt war.

Da leistet man dem Tierle dann Abbitte und krault ihm dankbar die langen Ohren.

Über eine andere Art von störrischer Befehlsverweigerung mag ich kaum berichten:

Auch im touristisch gut erschlossenen Schwarzwald sind die Wanderwegmarkierungen nicht immer eindeutig.

Da steht man dann vor einer Weggabel und weiß nicht, ob es links oder rechts weiter geht.

Ich habe gelernt, auf Helena zu hören. Der Weg den sie verweigert, ist mit Sicherheit der falsche. Auf dem Weg, den sie vorschlug, erreicht man stets das Ziel. Ich mag nicht darüber nachdenken, wie kartographische Kenntnisse in einen Eselskopf kommen. Aber das Eselorakel hat sich als recht zuverlässig erwiesen.

Unsere alltäglichen Konflikte verhinderten nicht das Aufkommen von Sympathie!
Zuerst beobachtete ich am dritten oder vierten Tag, dass Helena meine Zuneigung erwiderte.

Während ich bei der Wanderpause im Gras saß, um die Karte zu studieren, kam sie mir beim Grasen immer näher, um schließlich das Gras unter meiner Hose zu rupfen.
Und nicht nur das!

Sie legte dann ihren schweren Eselskopf auf meine Schulter und zermalmte das saftige Grünzeug laut, behaglich und genüsslich. Und wenn ich dann nach oben griff, um ihr die langen Ohren zu kraulen, war das Eselsglück vollkommen.

Ich erzählte einem Pferdeexperten von diesem Verhalten. Er runzelte die Stirn und riet mir, dies Verhalten sofort zu unterbinden. In Wirklichkeit ginge es um die Rangordnung zwischen uns, sie wolle mir zeigen, dass sie mit mir alles machen kann.

Ich erzählte einem Eselexperten von diesem Verhalten und dem Rat den ich bekommen hatte. "Welch ein Unsinn" sagte der Eselexperte, "Esel kennen - anders als Pferde - gar keine Rangordnung. Sie zeigte dir nur ihre Zuneigung!"

Und diese Auskunft freute mich.

Aber auch die tägliche Arbeit führte uns zusammen.

Theoretisch wusste ich ja, dass der Führstrick nie gespannt sein sollte. Die ersten Tage war er nur gespannt und ein aufmerksamer Beobachter musste den Eindruck gewinnen, dass da ein Mann einen Esel mit Gewalt durch die Landschaft zieht.

Doch was sollte ich machen?

Wurde ich langsamer, machte Helena es mir nach - der Führstrick blieb gespannt!
Blieb ich stehen, stand auch Helena!

Erst langsam lernte ich, den Führstrick ein wenig lockerer zu lassen, ohne langsamer zu werden. Nach einigen Tagen stellte sich der Erfolg ein. Und irgendwann schloss Helena zu mir auf und lief fast neben mir - irgendwie hatten wir uns verständigt. Und dabei hatte Helena mich wohl mehr erzogen als ich sie.

Überhaupt konnte Helena Zuneigung zaubern. Doch das ist schon das nächste Thema.

Die Menschen, die wir trafen

Das Eseln zaubern können, wissen wir seit dem Märchen "Tischlein Deck Dich".
Zauberte das Langohr hier Steaks und Spätzles - das hab ich leider bei Helena nie erlebt - zauberte meine liebe Eselstute etwas viel Kostbareres: ein Lächeln auf den Gesichter aller, denen wir begegneten!

Aller! Ohne Ausnahme!

Es scheint, als würde der Anblick eines alten Mannes mit einem Esel an der Leine bei allen Menschen etwas Verschüttetes freilegen.

Gleichgültig ob Bauer, Truckfahrer, Radwanderer oder Motorradfahrer: alle lächelten uns an.

Der Trucker drehte die Scheibe runter, verlangsamte sein Tempo, hob den Daumen, lächelte und rief uns zu: "Echt stark, was ihr da macht!"

Radwanderer hielten an und sagten: "Das ist ja wie im Märchen!"

Und die Kindergärtnerin bat uns, einen Moment zu bleiben, damit sie Kinder und Fotoapparat holen kann. Die Kinder strahlten und wollten Helena streicheln, was Helena sich immer mit großem Vergnügen gefallen ließ. Und die Erwachsene brachten Wasser, Äpfel und Mohrrüben für Helena. Einmal - im Kurpark von Bad Herrenalb - sogar einen großen Korb mit Erdbeeren.

Dem Zauber des Esels können sich Erwachsene und Kinder einfach nicht entziehen.
Ich vermute, Helena ist der meistfotografierte Esel Baden-Württembergs. Ihr Bild ist in drei Zeitungen erschienen und hätten wir für jedes Photo, das von ihr gemacht wurde einen Obolus bekommen, wäre unsere Wanderung ein Geschäftserfolg geworden.
Auf einen steilen Straße hinunter in ein Tal, überholte uns ein Auto und hielt mit quietschenden Reifen 50 m vor uns.

Vier Japaner sprangen aus dem Wagen, ihre Sonys, Nikons und Minoltas in den Händen. Insgesamt wurden wir von ihnen sicher 20-mal digital auf die Festplatten gebannt. Und Helena und ich schmunzelten bei dem Gedanken, was diese vier Herren in ihrer Heimat beim Dia-Abend wohl über moderne europäische Fortbewegungsmittel erzählen würden. Oder über die bittere Armut in Deutschland, die es den Deutschen nicht einmal mehr möglich macht, sich ein Auto zu kaufen.

Die Aufmerksamkeit war fast immer aber auch mit Hilfsbereitschaft verbunden.

Der deutsche Tourismus hat ja das Eselwandern noch nicht entdeckt. So war es zwar leicht, ein Bett im Gasthof "Zur Sonne", Zum Ochsen" oder "Zum Erbprinzen" zu finden, aber bei der Suche nach einer Unterkunft für einen Esel gab es manchmal Probleme.

Aber irgendetwas ist allen Wirten meist eingefallen. Mal war es ein Garten, dann ein Schaf- oder Ziegenstall und einmal sogar ein Hühnerstall.

Am nächsten Morgen hatte es sich Helena in dem engen Stall bequem gemacht und die vertriebenen Hühner standen gackernd vor ihrem Zuhause und protestierend gegen die Hausbesetzung!

Einmal wurde es allerdings kritisch.

Müde vom Wandern und mit schmerzenden Blasen an den Füßen erreichten wir einen gemütlichen Gasthof - doch der hatte kein Zimmer mehr frei. Die Wirtin gab uns aber die Adresse einer Privatpension, nur einige hundert Meter entfernt. Ein Zimmer gab es dort zwar, aber keine Weide für Helena.

Als ich etwas ratlos und enttäuscht die Pension wieder verließ, war Helena - die vor dem Haus geduldig gewartet hatte - nicht mehr allein. Sie war von einer Schar von Kindern umringt, die sich alle mit ihr unterhielten und sie streichelten. Einige Mütter waren auch dabei. Ich erzählte von unserem Problem und die Versammlung auf der Straße begann zu beratschlagen, was zu tun sei.

Eine der Mütter verließ die Runde und kam nach einigen Minuten fröhlich wieder:

"Problem gelöst, Helena kann in den Garten meiner Schwiegermutter kommen!"

Mir fiel ein Stein vom Herzen und mein Esel schien auch erleichtert zu sein. Der Elektrozaun war schnell aufgebaut, damit Helena sich nicht an den Rosen verging und ich ging beruhigt in meine Pension.

In der Nacht gab es ein schweres Gewitter mit kräftigen Regengüssen. Ich traute mich am nächsten Morgen kaum in Helenas Garten. Ich sah sie schon völlig durchnässt und frierend vor mir - und traute meinen Augen kaum, als ich in den Garten kam. Die Kinder hatten in der Nacht eines dieses großen weißen Partyzelte aufgebaut und darunter stand mein Esel. Mir schien, als würde sie mir vergnügt zuzwinkern: "Was du dir nur immer für Sorgen machst!"

Aber nicht nur das: die Kinder hatten sie auch in aller Früh gestriegelt und gebürstet.

So fanden wir im Schwarzwald immer Quartier und wenn nicht, haben wir gezeltet. Und auch da halfen uns Bauern und Gastwirte, Bürgermeister und Hausfrauen immer wieder, eine passende Wiese zu finden, wo wir Zelt und Zaun aufstellen konnten.

Ich bin auf der Wanderung unzählige Male gefragt worden, wie ich denn nur auf die Idee gekommen sei, mit einem Esel durch das Land zu ziehen. Etwas verkürzt, aber dennoch nicht falsch, antwortete ich immer, dass ich zu faul sei, mit einem schweren Rucksack im Hochsommer durch den Schwarzwald zu wandern. Und da es schwer sei und auch wohl nicht ganz zeitgemäß, Träger anzuheuern, wie es früher in fernen Ländern üblich war, erschiene mir die Wahl eines Esels eigentlich ganz folgerichtig.

Und wenn ich Zeit hatte, erzählte ich - da ich Bremer bin -, gerne die alte bremische Geschichte von den "Sieben Faulen" nach denen in Bremen sogar eine Straße benannt ist.

Das Märchen sei hier nur kurz skizziert.

Es waren einmal sieben Brüder die waren zu jeglicher Arbeit viel zu faul und so erfanden sie lauter Dinge, um nicht arbeiten zu müssen. Sie waren zu faul jeden Tag ihre Schuhe vom Lehm zu befreien und pflasterten deshalb die Straße, so dass sie trockenen Fußes nach Hause kamen.

Und sie waren zu faul, in kalten Winternächten die Hasen aus dem Kohl zu verjagen, und umzäunten deshalb ihre Obst- und Gemüsegärten mit dichten Hecken, so dass kein Wild hineinkam.

Und sie waren zu faul, wie alle Nachbarn das Wasser aus dem Fluss zu holen, deswegen bauten sie sich Brunnen in ihren Gärten.

Und da sie zu allem zu faul waren, wuchs ihr Wohlstand von Tag zu Tag.

Und ich war eben zu faul, einen schweren Rucksack zu tragen und konnte nun unbeschwert bei über dreißig Grad durch Weinberge und Wälder laufen, um den Schwarzwald zu genießen. Mit dem Zelt auf Helenas Rücken waren wir zudem frei, uns den Tag einzuteilen wie wir es mochten. Fanden wir eine angenehme Pension, verbrachten wir dort die Nacht. Fanden wir keine, bauten wir eben das Zelt und den elektrischen Reisezaun auf. Helena freute sich an saftigem Gras, Kraftfutter und Zimtkecksen und ich an Brot, Käse, eine Flasche Riesling und meiner Pfeife.

Eine Landschaft zu genießen, zu erleben und zu erfahren ist aber nicht nur ein Vergnügen für das Auge. Zur Landschaft gehören die Menschen, der Winzer im Weinberg, der Förster im Wald, der Tourist in der Gaststätte. Mit allen kamen wir ins Gespräch und empfanden es nie als Last, gab es doch auch als Ausgleich Stunden der Stille und der Einsamkeit, in denen nur wir zwei uns am Sommer im Schwarzwald freuten.

Spanien vor Augen, zogen wir so durch Wälder, Weinberge und Dörfer. Erst in den Berge, dann in der Ebene, durch das Elsass und dann wieder in Deutschland.

Irgendwann, so kurz vor Basel passierte es dann.

Nachmittags so gegen 16:00 brach Helena an einer Friedhofsmauer zusammen. Sie legte sich mit dem ganzen Gepäck nieder, schwer atmend und mit traurigen Augen.

Zwar versuchte sie noch einmal wieder aufzustehen, aber ihr fehlte die Kraft.

Mit viel Mühe sattelte ich sie ab - es ist ja nicht so einfach, einem liegenden Esel den Sattel abzunehmen - und fütterte das treue Tier mit Kraftfutter und all den Kekschen, die ich für sie im Gepäck fand. Nach einer langen halben Stunde versuchte sie erneut aufzustehen - und es gelang, wenn auch mit Mühe.

Ganz langsam machten wir uns auf den Weg ins nächste Dorf und ich sah betrübt und sorgenvoll, dass sie lahmte.

Und wieder erregten wir Aufmerksamkeit im Dorf. Eine Frau sagte mir, sie hätte uns schon vor einigen Tagen in Offenburg gesehen und ein Takstellenbesitzer hatte über uns in der Zeitung gelesen. Er holte dann eine Riesenportion Möhren und Bananen für Helena.

Pferdefreunde sagten mir dann aber, dass ihnen Helenas linker Vorderhuf gar nicht gefallen würde.

Sie klangen besorgt und boten mir an, dass Helena die Nacht in ihrem Stall stehen könne und morgen könnte dann der Tierarzt kommen.

Die Tierärztin diagnostizierte eine Sehnenscheidenentzündung. Nach drei bis vier Tagen sei Helena zwar wieder fit, aber ganz ausheilen würde es erst in vier bis sechs Wochen.
So endete ein großes Vorhaben.

Nun galt es nur noch eine Esel-Pension zu finden wo Helena ihren Huf auskurieren konnte. Und wieder waren es hilfsbereite Menschen, die sich unser Problem zu ihrem machten, die telefonierten und recherchierten und schließlich einen Transport organisierten.

Jetzt, einige Wochen später, höre ich aus dem fernen Schwarzwald, dass Helena sich in ihrer Reha-Klinik wohl fühlt, dass ihr Huf geheilt ist und dass sie sich mit anderen Eseln angefreundet hat.

Das freut mich.

Aber sie fehlt mir sehr.

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